„Nicht auch noch Ameisen!“ – So reagierte manch ein Lehrer angesichts des extrem kurzen und gedrängten Schuljahres 2016/2017 auf die Ankündigung, dass alle Klassen der GFS und die Jahrgänge 7 und 6 der Realschule in den letzten drei Wochen vor den Sommerferien einen weiteren Programmpunkt auf der Agenda hatten.
Doch die Ausstellung heißt nicht umsonst „Faszination Ameisen“! Oft wich eine anfängliche Skepsis schon beim ersten Blick auf das Formicarium mit seinen ca. 50.000 Roten Waldameisen dem Bewusstsein, dass hier etwas ganz Besonderes auf die Besucher wartete. Spätestens wenn Gert Habermann, der Vorsitzende der Deutschen Ameisenschutzwarte Landesverband Niedersachsen, oder seine Kollegin Ilse Grotian dann eine Hand in das oben offene (!) Formicarium hielten und jeder anschließend an der Hand die gegen den „Eindringling“ in hohem Bogen verspritzte Ameisensäure erschnüffeln konnte, waren die Besucher mittendrin in der tatsächlich faszinierenden Welt der kleinen Krabbeltiere.
Überraschende Bilder und Fakten setzten die Besucher – ob groß, ob klein – während der Führung immer wieder in Erstaunen, so z. B. dass eine Ameisenkönigin über 20 Jahre alt werden kann, dass sich bei dem Nest – wie bei einem Eisberg – der größte Teil unter der Oberfläche befindet oder dass in solch einem Nest aufgrund eines ausgeklügelten Systems mit „Heizung“ und „Lüftung“ konstant eine Temperatur von 28 Grad herrscht.
Voll Bewunderung stand man vor dem Bild einer Weberameise, die, kopfüber an einer Glasscheibe hängend, das 100-fache ihres Körpergewichts trug; tatsächlich benötigt es das 200- fache des Körpergewichts, um solch eine Verbindung zu lösen. Hier und im weiteren Verlauf der Führung fiel immer wieder das Stichwort Bionik, das Abschauen und Nutzen von Phänomenen aus der Natur für die moderne Technik. Von Forschern untersucht wird beispielsweise auch das „Autobahnnetz“ der Ameisen. Wie schaffen sie es trotz ihrer großen Zahl von Zehntausenden, zuweilen Hunderttausenden von Individuen auf engstem Raum, dass es keine Zusammenstöße und keine Staus gibt, sondern alles reibungslos abläuft? Die Antwort liegt zum einen in der speziellen Form der Kommunikation
Ameisen können sich über 28 verschiedene Duftstoffe miteinander verständigen -, zum anderen im ausgeprägten Sozialverhalten der Tiere. Rücksichtnahme statt Egoismus ist angesagt. Das geht hin bis zum „Sozialmagen“ der Tiere, wie die beiden Experten den Besuchern erklärten. Zentrales Anliegen der Ausstellung ist aber nicht nur, über die Ameisen selbst aufzuklären, sondern die Vernetzung allen Lebens en miniature aufzuzeigen. Ein nachgebauter Waldsaum, Filmsequenzen und zahlreiche informative Schaukästen, Modelle und Lehrtafeln machten dies deutlich. Bei den (ausgestopften) Tieren des Waldsaums wurde allerdings zunächst einmal deutlich, dass man auch bei Kindern aus der ländlichen Region nicht mehr als selbstverständlich voraussetzen kann, dass sie einen Eichelhäher, einen Grünspecht, ein Rebhuhn oder einen Dachs erkennen und benennen können. Und wer wusste vorher schon, dass der Eichelhäher sich mit ausgebreiteten Flügeln auf das Ameisennest setzt, um sich von den Säure verspritzenden Insekten das Gefieder reinigen zulassen? Wer wusste, dass der auf Ameisen spezialisierte Grünspecht seine klebrige Zunge um das Fünffache auf bis zu 10 cm verlängern kann, um im Ameisenbau an Leckereien zu kommen, und dass diese Zunge, wenn er sie nicht zum Fressen braucht, hinter das Gehirn geschoben wird und dort als Stoßdämpfer (wieder das Stichwort Bionik) dient? Wer wusste, dass es ohne Ameisen viele Tierarten nicht gäbe? So lässt sich z. B. die Raupe des Bläulings von den Ameisen in deren Brutkammer tragen, wo sie von deren Nachwuchs lebt, sich verpuppt und dann als wunderschöner Schmetterling wieder ans Tageslicht kommt. Auf die Frage, warum sich die Ameisen solch ein „troianisches Pferd“ in ihr Nest holen, antworteten die Experten, dass sie durch spezielle Duftstoffe getäuscht würden, es sich dabei aber nicht um Schmarotzertum handele, sondern um eine Symbiose; denn ein zuckerhaltiges Sekret, das die Raupen ausscheiden, diene wiederum den Ameisen als Nahrung.
Die Besucher erfuhren auch von der höchst effektiven Symbiose zwischen Ameisen und Blattläusen – Stichwort: Honigtau – oder von der Gefährdung des ursprünglich perfekt funktionierenden Systems durch massenhaft aus Asien importierte Marienkäfer. Diese verdrängen übrigens auch unsere heimischen roten Marienkäfer immer stärker. Durch konkrete Beispiele wie dieses wurde deutlich, welche Auswirkungen unbedachte Eingriffe des Menschen in vernetzte Systeme haben.
Allzu oft führt fehlendes Verständnis für komplexe Zusammenhänge zu nicht wieder gutzumachenden Zerstörungen. Derzeit sterben täglich (!) ca. 150 Tier- und Pflanzenarten aus! Gründe für den rasanten Verlust an Biodiversität sind neben dem ausufernden Drängen des Menschen in bisher unberührte oder geschützte Gebiete die Art der Landnutzung mit großflächiger Flächenversiegelung, industrialisierter Landwirtschaft, dem allzu oft verheerenden Einsatz von Pestiziden, dem Verschwinden von Ackerrandstreifen und Rückzugsorten, der Entwaldung, der Vermüllung oder dem Absenken des Grundwasserspiegels durch exzessive Wasserentnahme. Hinzu kommen die oben genannte Gefährdung einheimischer Arten durch Invasoren und veränderte Lebensbedingungen durch die globale Erwärmung. In dem Bemühen, das Massensterben einzudämmen, initiierten die Vereinten Nationen 2010 weltweit die UN-Dekade Biologische Vielfalt 2011-2020.
Verständnis beginnt im Kleinen, Gegensteuern beginnt im Kleinen. In Anlehnung an die UNDekade ist es das zentrale Ziel der Ausstellung, die Besucher für eine artenreiche, belebte und intakte Umwelt sowie für die Notwendigkeit der biologischen Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten zu sensibilisieren. „Wir schätzen und schützen nur das, was wir kennen“, sagte Gert Habermann in seiner Begrüßungsansprache. Er und seine Kollegin Ilse Grotian haben in Diepholz drei Wochen lang täglich von morgens acht bis mittags 13 Uhr, teilweise bis nachmittags 15.30 Uhr Führungen mit Schülern gemacht. Zu den über 1.100 Schülern und Lehrern der GFS und der Realschule, die die Ausstellung besuchten, kamen viele weitere Besucher, so dass die beiden Experten selten im Ausstellungsraum allein waren. Immer wieder war zu hören: „Wir sind hier, weil unsere Kinder/Enkel/Geschwister so begeistert waren; nun wollen wir die Ausstellung auch sehen.
“ Ein besseres Kompliment kann man den Organisatoren wohl nicht machen und es ist wahrscheinlich der schönste Dank für ihre Arbeit, die sie mit so viel Einsatzbereitschaft, Geduld und Verständnis durchführen … übrigens ehrenamtlich!
An dieser Stelle sei ihnen nochmals herzlich für ihren unermüdlichen Einsatz gedankt. Ein besonderer Dank geht auch an Franz Hüsing und seine Stiftung Zukunft Wald, die sämtliche Kosten für das Projekt übernommen hat, für das man in der Tat keinen besseren Namen hätte finden können als „FaszinationAmeisen“.
Maria Schmutte